Es geschah zum Ende der Herbstferien 2022. In der Nacht vom 21. auf den 22.Oktober hatten unbekannte Täter Hakenkreuze und Nazi-Parolen an Fenster, Türen und Außenwände des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums in Hamburg-Poppenbüttel gesprayt. Insgesamt 106 Hakenkreuze wurden gezählt. Auch die benachbarte Grundschule war mit den Symbolen der menschenverachtenden Nazi-Ideologie verunstaltet worden. „Das Entsetzen war groß, als wir nach den Ferien wieder in die Schule kamen, das ging quer durch Schüler*innen-, Eltern- und Lehrerschaft und war Gesprächsstoff in den Pausen wie auch im Unterricht“, sagt Schülerin Clara (17).
Die Symbole waren zwar noch vor dem Start des neuen Schuljahres von einer Spezialfirma beseitigt worden, doch „der Schock saß tief.“ Auch darüber, „dass es ausgerechnet unsere Schule traf, zu deren Leitlinien ja nach unserem Namensgeber eine pazifistische und demokratische Haltung gehört“, sagt Emma (18). Grundsätze, für die der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky eintrat und mit seinem Leben bezahlte. Der kritische Journalist, Schriftsteller und Pazifist wurde 1933 von den Nationalsozialisten verhaftet. 1938 starb er an den Folgen der KZ-Haft.
Der Entschluss: „Wir nehmen das nicht hin“
Die beiden Schülerinnen waren sich schnell einig, dass sie diesen feigen Angriff auf ihre in Sachen Demokratie sehr engagierte Schule nicht hinnehmen wollten. „Wir wollten zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen und ein Zeichen gegen jede rechte Ideologie setzen“, sagt Emma. Bereits kurz nach dem Vorfall hatte es im Stadtteil bereits eine Protestaktion von verschiedenen Bündnissen gegen Rechtsextremisten gegeben, an der die Schülerinnen teilgenommen hatten. Danach entschieden sie: „Auch wir müssen von unserer Schule aus ein Zeichen setzen.“ Sie gründeten die Gruppe „Schüler*innen gegen Rechts“ und planten für den 27. Januar 2023, dem Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, eine Großdemonstration durch Poppenbüttel. Sie sollte am Alstertal Einkaufszentrum starten und mit einer Kundgebung am Carl-von-Ossietzky-Gymnasium enden.
Die Vorbereitungen zur Demo
Die Schülerinnen hatten bereits bei der ersten Demo im Stadtteil Kontakte zu engagierten Menschen geknüpft, wie etwa zu einzelnen Aktiven des Hamburger Bündnisses gegen Rechts. „Wir konnten von deren Erfahrungen und Wissen profitieren und haben von ihnen viele Tipps für die Planung unserer Demonstration bekommen“, sagt Clara. Sie luden aber auch ihre Freunde und Mitschüler*innen zum Mitmachen ein, denn es musste viel organisiert werden: von Plakaten und Werbetexten für soziale Medien, um auf die Demo aufmerksam zu machen, bis zur Recherche und dem Verfassen von Redebeiträgen und einer Musikauswahl für die Veranstaltung. Auch ein Lautsprecherwagen und Ordner mussten besorgt sowie die Demo offiziell bei der Polizei angemeldet werden.
Am Tag der Demonstration wurde auch ein AfD-Mitglied gesehen
Als es am 27.1.23 schließlich losging, wurden den Schülerinnen erst richtig bewusst, dass sie etwas Großes organisiert hatten. „Wir waren doch aufgeregt, als die Polizei eintraf und die Demo begann“, sagt Emma. Tatsächlich kamen 300 Leute zusammen, neben Schüler*innen , Lehrer*innen und Eltern, schlossen sich auch weitere Aktive an, wie etwa die „Omas gegen Rechts“. Mit Plakaten und Redebeiträgen zog die Demo durch den Stadtteil. „Wir wollten auch zeigen, wieviel Leid während der NS-Herrschaft entstanden ist und haben die Lebensgeschichten von Menschen vorgestellt, die in der NS-Zeit verfolgt und ermordet wurden, die hier im Nordosten Hamburgs gelebt haben und in das damalige KZ-Außenlager Sasel deportiert wurden“, sagt Emma.
„Unser Ziel ist es aufzuklären und Haltung zu zeigen gegen rechte Ideologien“
Die Reaktionen der Passanten waren unterschiedlich. „Die meisten signalisierten ihre Zustimmung, aber es gab auch einige abfällige Bemerkungen“, sagt Clara. Als ein AfD-Mitglied einzelne Demonstranten fotografierte, wurde er von der Polizei des Platzes verwiesen. „Es war eine gruselige Vorstellung, dass von uns Bilder im Netz auf Seiten von Rechtsextremisten kursieren könnten“ sagt Emma. Diese Reaktion zeige auch, wie sehr sich die AfD angegriffen fühlen, „aselbst von uns Schüler*innen, die wir mit unserer Demo die Aufmerksamkeit auf das Thema Rechtsextremismus lenken wollen“, so Clara. Beirren ließen sich die Schülerinnen davon nicht. „Unser Ziel ist es aufzuklären und Haltung zu zeigen gegen rechte Ideologien“, sagt Emma.
Ausstellung von Luigi Toscano und Interview mit Holocaust-Überlebender
Und so engagierten sich die Schülerinnen auch bei weiteren Aktionen der Gruppe „Carl:A“, die sich nach den rechten Graffitis an der Schule aus Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern gebildet hatte. Die Gruppe organisierte Aktionen wie etwa 106 Teelichter gegen Rechts, lud über die Initiative „Exit Deutschland“ einen Aussteiger aus dem Rechtsextremismus zu einem Vortrag ein und holte die Ausstellung des Fotografen Luigi Toscano auf den Schulhof. Der Fotograf und Filmemacher hat das Erinnerungsprojekt „Gegen das Vergessen“ aufgestellt, in dem er Holocaustüberlebende interviewt und fotografiert hat und ihre Porträts als großflächige Bilder an öffentlichen Plätzen weltweit ausstellt. „Als die Ausstellung zu uns an die Schule kam, haben wir für eine Einführung ein Interview mit dem Künstler geführt. Wir führten auch Interviews mit dem schwarzen Hamburger Lehrer Philip Oprong Spenner über seine Erfahrungen mit Rassismus und mit der Holocaust-Überlebenden Marianne Wilke“, sagt Clara.
„Der Rechtsruck in der aktuellen Zeit zeigt, dass die Geschichte noch immer nicht gut genug aufgearbeitet ist“
Die beiden Schülerinnen, die das Gymnasium bald mit dem Abitur verlassen, wollen sich auch in Zukunft engagieren. „Der Rechtsruck in der aktuellen Zeit zeigt, dass die Geschichte noch immer nicht gut genug aufgearbeitet ist“, sagt Clara. Deswegen sei es wichtig aufzuklären, zu erinnern und der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. „Wir wollen für unsere Werte einstehen und gegen die menschenverachtende Ideologie angehen, denn so will wir nicht leben“, sind sich Emma und Clara einig.