„Die meisten wussten bislang wenig oder gar nichts über das ehemalige KZ Neuengamme“
„Die meisten wussten bislang wenig oder gar nichts über das ehemalige KZ Neuengamme“, sagt Rupert Kempe (18), Mitglied der Jugendfeuerwehr Hamburg. Das sollte sich im Juli 2023 ändern. Zwei Tage verbrachten 30 Mitglieder der Jugendfeuerwehr Hamburg auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers vor den Toren Hamburgs. Und sie erfuhren mehr über die Geschichte und die Grauen des Lagers, indem ab 1937 bis kurz vor Kriegsende mehr als 100.000 Verfolgte des NS-Regimes inhaftiert worden waren und Zwangsarbeit verrichten mussten. Mindestens 50.000 Häftlinge starben aufgrund der unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen oder wurden ermordet.
Als damalige Landesjugendsprecher in der Freiwilligen Feuerwehr Hamburg hatten Rupert Kempe und Olivia Stübbecke (beide 18) an der Planung und Umsetzung des zweitägigen Seminars unter dem Motto „Geschichte bewusst erleben“ mitgearbeitet. Es war Teil des jährlichen Bildungsprogramms, für das die von allen Mitgliedern der Hamburger Jugendfeuerwehren gewählten Landesjugendsprecher Themen selbst setzen können. Für 2023 war die Idee entstanden, sich mit der Bedeutung der Demokratie zu beschäftigen und sich auch mit der Unterdrückung und Verfolgung in der totalitären NS-Zeit auseinanderzusetzen. Die Vergangenheit zu betrachten, war den jungen Aktiven besonders wichtig, denn auch die Feuerwehr wurde in der NS-Zeit für die nationalsozialistische Ideologie vereinnahmt und als Hilfspolizei gleichgeschaltet. „Die heutige Feuerwehr hat ihre Lehren daraus gezogen. Unsere Struktur ist grunddemokratisch, so werden heute alle Mitglieder im Landesjugendfeuerwehrausschuss, zu dem auch das Team der vier Landesjugendsprecher gehört, gewählt“, sagt Rupert.
Für das Seminar in der KZ-Gedenkstätte hatten die Landesjugendsprecher nicht nur den Aufenthalt mit Zelten und mitgebrachter Verpflegung auf dem Gelände organisiert, sondern auch für eine gezielte inhaltliche Auseinandersetzung gesorgt, die durch Pädagogen der Gedenkstätte begleitet wurde. Schon auf der Fahrt zum Lager kamen die jungen Feuerwehrleute, die sich aus allen 66 Jugendfeuerwehren Hamburgs zum Seminar angemeldet hatten, mit der Geschichte des ehemaligen Konzentrationslagers in Berührung. „Bis zur KZ-Gedenkstätte fuhren wir auf Feuerwehrwehrbooten die Dove-Elbe entlang. Dort konnten wir sehen, welche Kanäle die ehemaligen Häftlinge damals mit Schaufeln ausgehoben haben“, sagt Rupert. Die Zwangsarbeit zur Schiffbarmachung der Dove-Elbe geschah unter furchtbaren Bedingungen. Die Häftlinge, die auch im Lager Schwerstarbeit leisten mussten, standen bei jedem Wetter ungeschützt im Wasser.
Auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte informierten sich die jungen Feuerwehrleute in Kleingruppen an verschiedenen Punkten wie der ehemaligen Ziegelei, dem Krematorium oder den Holzbaracken der Häftlinge über die Geschehnisse im Lager. „Dort zu sein, wo früher die Zwangsarbeiter unter schrecklichen Bedingungen leben mussten, war schon ein krasses Gefühl“, sagt Lia Marie Gorny (16). Sie hatte sich aus persönlichem Interesse für das Seminar angemeldet, weil sie in der Schule nichts über das Lager erfahren hatte. „Mir sind die Geschichten der Gefangenen sehr nahe gegangen, man konnte dort die Biografien der Häftlinge nachlesen und es war grausam, wie die Menschen in den Baracken eingepfercht waren, wie sie hungerten und trotzdem die harte Arbeit machen mussten“, sagt Rupert. „Mit diesem Seminar habe ich das ehemalige KZ nochmal ganz anders wahrgenommen“, fügt er hinzu und weiß aus der Nachbesprechung mit anderen beteiligten Jugendlichen, dass es ihnen ähnlich ergangen ist. Es sei wichtig darüber aufzuklären, was damals passiert ist.
„Es ist auch wichtig zu sehen, wie es damals war, um es in Zukunft anders zu machen“, ergänzt die ehemalige Landesjugendsprecherin Olivia Stübbecke, die sich gleichfalls für das Bildungsprogramm unter dem Titel „Nationalsozialismus und deren Folgen: Was können wir heute in der Jugendfeuerwehr tun, um uns zu schützen?“ engagiert hatte. Neben dem Seminar „Geschichte anders erleben“ hatten die Landesjugendsprecherinnen und – sprecher eine Reihe weiterer Angebote erstellt, die das Wissen der jungen Feuerwehrmitglieder erweitern und zum Nachdenken anregen sollte. Dazu gehörten auch eine Führung durch den Bundestag in Berlin und der Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald.
„Es ist wichtig zu sehen, wie es damals war, um es in Zukunft anders zu machen“
„Oft lernt man in der Schule nur Fakten und Zahlen, uns war es aber wichtig, etwas Nacherlebbares anzubieten“, sagt Olivia. Dazu sei das Seminar in Neuengamme besonders gut geeignet. Und es soll nicht das letzte dieser Art gewesen sein, solche Angebote soll es auch künftig bei der Jugendfeuerwehr geben. Dafür wollen sich auch die neu gewählten Landesjugendsprecher Noah-Amin El Aloui Sossey und Marina Rothenberger einsetzen. Sie hatte sich schon vor ihrer Wahl für viele gesellschaftlich wichtige Themen wie etwa Nachhaltigkeit engagiert. Nun haben die ehemaligen Landesjugendsprecher Rupert Kempe und Olivia Stübbecke den Staffelstab sozusagen an die neuen Sprecher Noah und Marina weitergegeben. Für ihr Engagement gegen das Vergessen und Verleugnen des Unrechts in der Vergangenheit wurden die vier aktiven Jungfeuerwehrleute mit dem Bertinipreis ausgezeichnet.