Sie rappen, stampfen, rufen ihre Botschaft ins Publikum – die Jugendlichen der Otto-Hahn-Schule in Jenfeld bringen ihre Performance „emPower“ äußerst kraftvoll auf die Bühne. In ihren gesprochenen und gesungenen Texten wenden sie sich gegen jede Form von Diskriminierung. Sie führen dem Publikum vor Augen, wie es ist aufgrund der Herkunft, des Geschlechts, der Hautfarbe, des sozialen Status oder einer körperlichen Einschränkung gemieden, gedemütigt oder gar nicht wahrgenommen zu werden. Sie wollen das nicht mehr hinnehmen und fordern mit Nachdruck Akzeptanz und Toleranz für alle.
„Wir wollten die Menschen für das Thema Diskriminierung sensibilisieren, erreichen, dass sie sich Gedanken darüber machen und ins Gespräch darüber kommen“, sagt Schülerin Mell Carrero (16). Gemeinsam mit 47 Schüler*innen der Oberstufen-Jahrgänge, beteiligte sie sich am Projekt „emPower“, dass die Diskriminierungserfahrungen der Jugendlichen in verschiedenen Situationen auf die Bühne brachte und die Jugendlichen in ihrer Haltung stärken sollte, für sich und andere einzutreten. Die Idee dazu hatte Musik- und Theaterlehrerin Julia Merten. „Das Projekt entstand aus Wut und Hilflosigkeit darüber, dass es nach all den gutgemeinten Projekten zur Förderung von Toleranz immer noch soviel Diskriminierung in der Gesellschaft gibt“, sagt sie. Als Angebot neben den üblichen Kursen konnte jeder, der Lust dazu hatte, bei dem Projekt mitmachen.
„Wir wollten die Menschen für das Thema Diskriminierung sensibilisieren“
Ob Trans-Menschen oder Menschen mit Behinderungen, alle haben die gleichen Rechte
„Weil ich mich besonders gegen Queerfeindlichkeit einsetze, hat mich das Projekt angesprochen, obwohl ich anfangs zu schüchtern war und mir einen Auftritt auf der Bühne nicht vorstellen konnte“, sagt Lee Ludewig (20). Aber Lee wollte deutlich machen, dass auch Trans-Menschen die gleichen Rechte haben wie alle Menschen und hat deshalb mitgemacht. Auch Schülerin Larissa Tesch (21) kam wegen eigener negativer Erfahrungen zum Projekt. „Ich bin selbst sehbehindert und kenne die Vorurteile gegenüber Menschen mit Einschränkungen. Oft genug wird das Wort ‚Behindert‘ gedankenlos aber kränkend benutzt, darauf wollte ich aufmerksam machen“, sagt Larissa.
Im Herbst 2022 begann die Projektgruppe mit der Arbeit. Zunächst sammelten die Jugendlichen eigene Geschichten zu den verschiedenen Arten von Diskriminierung wie Rassismus, Sexismus oder Queerfeindlichkeit, aber auch Ableismus – also die Benachteiligung von Menschen aufgrund einer Behinderung, – sowie Klassismus, die Herabwürdigung von Menschen wegen ihres sozialen Ranges. „Wir haben zum Start auch Übungen zu Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins gemacht, haben es probiert, laut und präsent zu sein“, sagt Larissa.
Auch antimuslimischer Rassismus und Rassismus gegen Schwarze waren Thema
Für die Umsetzung auf der Bühne hatten die Jugendlichen zuerst überlegt, das Thema in Therapiesitzungen zu veranschaulichen, „das war zu öde, aber wir kamen auf die Idee, die Diskriminierungsformen in fünf Räumen zu zeigen“, erzählt Lee. Sie schrieben zu den verschiedenen Ebenen der Unterdrückung und Ausgrenzung Sprech- und Songtexte und kombinierten sie mit Zitaten aus aktuellen Musiktexten oder aus sozialen Medien.
Für die Gestaltung der vierzigminütigen Performance haben die Jugendlichen auch mit verschiedenen Initiativen zusammengearbeitet. Der Verein Kulturagent*innen Hamburg begleitete das Projekt und lud später zur Aufführung der Performance im Rahmen eines Symposiums auf Kampnagel ein. Zu den Aspekten des antimuslimischen und anti-Schwarze-Rassismus tauschten sich die Jugendlichen mit dem Netzwerk gegen Rassismus MOSAIQ e.V. aus. Die Spoken-Word-Künstlerin Amira Zarari leitete die Jugendlichen beim Schreiben der Texte an, Lichtkünstlerin Katrin Bethge entwickelte mit den Jugendlichen Bühnenbilder,. Die ausdrucksstarken Tanzeinlagen wurden mit der Choreografin Andinia Gyamfi einstudiert. Auch der Oberstufenchor war mit voller Energie bei der Sache und sorgte neben den Solisten für den kraftvollen Ausdruck der gesellschaftskritischen Songs.
Unsere Welt muss besser werden
„Der Tanz war voll Power und das war auch nötig um die message rüberzubingen: ‚wir sind da, wir lassen uns nicht zurückdrängen und machen uns stark gegen jede Art von Ausgrenzung‘ “, sagt Vanessa Marinze (18). Die Entwicklung des Stückes war ein längerer Prozeß und erforderte einen großen Anteil an Eigenarbeit von den Jugendlichen. „Wir haben zum Beispiel viel darüber gesprochen, was man sagen ‚darf‘, wo wir auf den Putz hauen können und wo wir vorsichtig sein müssen“, erinnert sich Lee an diese Phase. „Wir wollte ja auch selbst keine diskriminierende Sprache verwenden“, fügt Vanessa hinzu.
Für die Aufführung der Musik-Theater-Performance im Mai 2023 bauten die Projektteilnehmer die Pausenhalle der Schule um. Sie verzichteten auf eine Bühne, denn sie wollten mit den Zuschauern auf Augenhöhe gehen. „Wir wollten das Publikum unmittelbar ansprechen und zum Nachdenken anregen, damit sich etwas ändert“, sagt Mell Carrero. Die Botschaft lautete: Hört zu und denkt nach über eure Handlungen und eure Sprache. „Unsere Welt kann besser werden, sie muss besser werden, (….) nicht wir sollten uns verstecken müssen (…) Wir sind hier, wir sind viele. (…). Leise sind wir sicher nicht mehr!“ heißt es dann unter anderem auch in dem abschließenden Gruppen-Statement, der sogenannten „Deklaration of Empowerment.“
„Wir sind da, wir lassen uns nicht zurückdrängen und machen uns stark gegen jede Art von Ausgrenzung“
Die kraftvolle Performance erreichte das Publikum und machte viele betroffen
Schon die Generalprobe aber auch die beiden Aufführung in der Schule beeindruckten das Publikum. „Bei der Generalprobe witzelten zwar noch manche, vor allem jüngere Schüler*innen rum, andere waren aber auch betroffen“, sagt Fabienne Gosser (18). Ein Großteil der Reaktionen des Publikums zeigte, dass sich die Zuschauer*innen angesprochen gefühlt haben. „Manche haben hinterher gesagt, dass sie durch das Stück auch erst verstanden haben, wo sie selbst diskrimniert wurden oder sich diskriminierend verhalten haben“, sagt Vanessa. „Das Stück bleibt wegen seines starken Ausdrucks in Erinnerung und es hat auch uns gestärkt und unser Selbstbewusstsein gefördert“, ergänzt Fabienne.
In kleinerer Gruppe führten es die Jugendlichen auch im Rahmen des Symposiums „Next Culture#6“ im November 2023 erfolgreich auf Kampnagel auf. Dort hatten die Kulturagent*innen in Kooperation mit dem KRASS-Festival die Konferenz zum Thema „Safer Spaces“ – Positionen transkultureller Bildung“ veranstaltet. Für die Schüler*innen sei das nochmal ein Höhepunkt gewesen. „Wir waren laut und stark und konnte unsere Power selbst kaum fassen. Ich hätte zu Beginn des Projektes nicht gedacht, wie sehr es mein Selbstbewusstsein fördern würde und so ging es vielen anderen auch“, sagt Lee.
Die Jugendlichen haben den Schmerz und die Wut über ihre Diskriminierungserfahrungen in die Öffentlichkeit gebracht und sich selbst und andere in der Auseinandersetzung mit diesen Themen stark gemacht. Dafür wollen sie weiter kämpfen.