Jonas Walzberg für Bertini-Preis e.V.

Stolpersteine in Blankenese

BERTINI-Preis 2024 · Pippa und Willy Sörensen

Die Geschwister Pippa und Willy Sörensen initiierten am 9. November 2019 erstmals eine kleine Gedenkaktion am Stolperstein von Julius Asch in Blankenese. Das war der Auftakt für ihr weiteres Engagement zur Erinnerungsarbeit im Stadtteil, an der sich mittlerweile viele Gruppen beteiligen

Er fällt kaum auf, der Stolperstein am Blankeneser Elbufer. Eingelassen in den Sandboden neben einer Sitzbank am Strandweg erinnert er an den Hamburger Unternehmer Julius Asch. „Der Stein befindet sich auf dem Weg zwischen Jugend- und Clubhaus des Blankeneser Segelclubs und wir fragten uns, warum er hier an der Elbe liegt und nicht vor einem Wohnhaus“, erzählt Willy Sörensen (19), der ebenso wie seine Schwester Mitglied im Blankeneser Segelclub ist. Bei ihrer Recherche dazu fanden die geschichtlich interessierten Geschwister Antworten auf der Seite www.stolpersteine-hamburg.de

Demnach wurde Julius Asch 1875 im polnischen Rawitsch geboren. Mit 24 Jahren ging der aus einer jüdischen Familie stammende Asch zur Ausbildung als Kaufmann nach Hamburg. Er lernte bei der Seidenfirma Charles Lavy & Co und stieg dort später in der Firmenleitung auf. 1914 wurde er Teilhaber, 1919 gründete er das Zweigunternehmen Laco.  Der erfolgreiche Unternehmer erwarb ein Wohnhaus an der Elbchaussee und den Waldpark Marienhöhe mit Gutshof, wo er jüdischen Kindern Ferienfreizeiten ermöglichte. Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten musste auch Julius Asch deren Judenverfolgung fürchten. 


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Die Ehe mit der Nichtjüdin Erna Basse, die er 1934 heiratete und die Tatsache, dass er die Firmenleitung mit einem Nichtjuden teilte, schien ihn vorläufig zu schützen. Doch ab 1936 betrieben die Nationalsozialisten eine zunehmenden Ausschaltung von Juden aus dem Wirtschaftsleben und plünderten deren Vermögen. 1938 war auch Asch gezwungen, seine Anteile an der Firma, sowie sein Haus und sein Gut zu verkaufen. Sein Vermögen wurde auf einem Sperrkonto eingefroren. Schließlich beantragte er für seine Ehefrau und sich die Ausreise am 10.Dezember 1938 per Schiff, doch erhielt er die nötigen Papiere dafür nicht. Ohne Vermögen und Arbeit sah er keine Perspektive mehr. Am 2. Januar 1939 nahm er sich mit dem Gang in die Elbe das Leben. Sein Leichnam wurde am Strandweg angespült, dort befindet sich heute der Stolperstein.


Seine tragische Geschichte berührte Pippa und Willy Sörensen zutiefst. „Man kennt zwar aus der Schule die unvorstellbare Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden, doch erst durch den Blick auf die Einzelschicksale kommt einem viel nähert, was passiert ist“, sagt Pippa Sörensen (20). Nachdem die heutige Studentin für Wirtschaftsingenieurwesen und ihr Bruder Willy (19), heute Auszubildender zum Schifffahrtskaufmann, von dem Schicksal von Julius Asch erfuhren, initiierten sie mit einigen Freunden aus dem Segelclub am 9. November 2019 erstmals eine Gedenkaktion. Sie versammelten sich an seinem Stolperstein, reinigten ihn, legten Blumen ab und entzündeten eine Kerze.


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Aber es sollte nicht bei dieser einen Aktion bleiben. Ein Jahr später beschlossen die Geschwister, die damals noch zur Schule gingen, das Gedenken zu erweitern. „Wir wollten das größer aufziehen, denn man erfährt in der Schule viel zu wenig über die Einzelschicksale auch direkt hier vor unserer Haustür“, sagt Pippa. Als Mitglieder des Blankeneser Segelclubs nutzten sie ihren Kontakt zum Mühlenberger Segelclub und fragten bei der dortigen Jugendabteilung  nach, wer bei der nächsten Erinnerungsaktion mitmachen wolle. Es fanden sich weitere interessierte junge Leute und schließlich versammelte sich am 9.November 2019 schon eine größere Gruppe zum Putzen am Stolperstein. Zusätzlich informierten die Jugendlichen in einem Vortrag und mit einem zeitlich begrenzt aufgestellten Plakat über das Schicksal von Julius Asch.

Pippa und Willy Sörensen wollten das Projekt aber noch weiter ins Stadtteil tragen, denn „in Blankenese gibt es 32 Stolpersteine“, sagt Willy. Es entstand die Idee, auch den anderen Opfern der Nationalsozialisten in Blankenese zu gedenken und zwar jedes Jahr. So organisierten die Geschwister eine Videokonferenz mit Vertretern ihrer beider Schulen, die sie zu der Zeit besuchten und knüpften weitere Kontakte.  „Mit der Beteiligung von Schulen ist auch eine Kontinuität gegeben, weil die Aktion zum Klassenprojekt wird“, sagt Pippa. Dank ihres Engagements beteiligen sich nun sieben Schulen, acht Vereine und fünf Organisationen, von der Freiwilligen Feuerwehr bis zu Initiativen wie dem Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese, an der Aktion.


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Seit 2021 putzen und schmücken die verschiedenen Gruppen am  9.November jedes Jahr alle Stolpersteine im Stadtteil. Und kommen anschließend zu einer Gedenkfeier in der Blankeneser Kirche am Markt zusammen. Dort werden Kerzen für die Opfer entzündet, ihre Biografien ausgestellt und mit dem Vortrag eines Experten in einen zeitgeschichtlichen Kontext gesetzt. „Wir wollen eine fortdauernde Erinnerungskultur etablieren und zugleich im Stadtteil mehr zusammenrücken und uns gegen Antisemitismus stellen“, erklärt Willy. Dies ist den Geschwistern auf beeindruckende Weise gelungen.

Ihr Antrieb: Das Unrecht von damals dürfe sich nicht wiederholen, deswegen sei das Erinnern besonders auch in diesen Zeiten mit einem verstärkten Rechtsruck in der Gesellschaft wichtig, betonen beide. Die Aktion soll zukünftig fortgesetzt werden, selbst wenn die Geschwister nicht mehr vor Ort sind: „Blankenese ist ein Dorf voller Tradition, wir hoffen, dass auch die Erinnerungsaktion am 9.November eine gute Tradition wird, bei der das Stadtteil gegen Ausgrenzung zusammensteht“, sagt Pippa Sörensen.

„Wir wollen eine fortdauernde Erinnerungskultur etablieren und zugleich im Stadtteil mehr zusammenrücken und uns gegen Antisemitismus stellen“

Willy Sörensen

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