Seit Anfang 2024 steht vor einem Unterrichtsgebäude auf dem Schulhof der Brecht-Schule in St. Georg ein Mahnmal aus Kupfer. Es zeigt die lebensgroßen Silhouetten von vier spielenden Kindern, im Hintergrund ist negativ ausgeschnitten der Umriss einer stehenden Figur mit gesenktem Kopf zu sehen. Im Bodenteil des Mahnmals sind zwanzig Namen eingraviert. Sie erinnern an die am 20.April 1945 ermordeten Kinder vom Bullenhuser Damm.
Die zehn Jungen und zehn Mädchen im Alter von fünf bis 12 Jahren wurden kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges im Keller der Schule am Bullenhuser Damm erhängt, um die entsetzlichen medizinischen Experimente, die zuvor im KZ-Neuengamme an ihnen begangen wurden, zu vertuschen. „Es waren doch Kinder, die ein Leben hatten und eine Zukunft und die so grausam aus allem herausgerissen und ermordet wurden“, sagt Anouk Fischer (17). Sie war ebenso schockiert über das Schicksal der Kinder wie ihre sieben Mitschülerinnen und -schülern aus der Brecht-Schule, die sich in der Vielfalt-AG engagieren. Die AG arbeitet außerhalb des Schulunterrichts in verschiedenen Projekten zu Themen wie Rassismus, Antisemitismus oder Diskriminierung.
Als 2021 eine Wanderausstellung von der Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm an ihrer Schule gezeigt werden sollte, kamen die Schüler erstmals mit dem Thema in Berührung. Sie eigneten sich das nötige Wissen an und boten Führungen für ihre Mitschüler der Klassen sieben bis 13 an. „Der Ansturm auf die Ausstellung war so groß, dass wir sie von zwei auf vier Wochen verlängert haben“, sagt Matti Bliß (15). Viele hatten zuvor nie etwas von diesen Verbrechen gehört. Die Jugendlichen der Vielfalt-AG ließ das Schicksal der Kinder auch nach der Ausstellung nicht los.
„Wir wollten auf diese grausame Geschichte aufmerksam machen und die Erinnerung an das Unrecht dauerhaft wachhalten“, sagt Anouk. Die Jugendlichen entwickelten mehrere Ideen, um ihr Ziel zu erreichen und entschlossen sich schließlich für ein Mahnmal zum Gedenken an die Kinder vom Bullenhuser Damm. „Damit können wir die Erinnerung am besten verewigen, und es bleibt an der Schule, auch wenn wir nicht mehr hier sind“, sagt Lauryn Abubakari (16). Mit der Idee bewarben sich die Jugendlichen beim Margot Friedländer Preis und gewannen. Das Preisgeld nutzten sie zur Umsetzung ihres Vorhabens.
Gemeinsam mit Bildhauer Ulf Petersen erarbeiteten sie die Gestaltung des Mahnmals. In einem längeren Prozess mit vielen Skizzen und Entwürfen aus Pappen in realen Größen entstand die heutige Form, die von Ulf Petersen schließlich umgesetzt wurde. „Die spielenden Kinder sollten für die Kinder stehen, die sie einst waren und plötzlich nicht mehr sein durften“, sagt Anouk. Als Standort für das Mahnmal wählten sie den Schulhof, „denn dort sind die Kinder an ihrem Platz unter den heute spielenden Schulkindern“, sagt Josefina von Bronk (17). Als negatives Gegenstück zu den Silhouetten der spielenden Kinder symbolisiert die traurig herabschauende, nur in ihren Umrissen angedeutete Figur die ganze Tragweite des Geschehens. „Sie steht für die Leerstelle, die die ermordeten Kinder hinterlassen haben“, sagt Josefina.
„Mit dem Mahnmal wollten wir erreichen, dass die Kinder unsere Schule sich irgendwann fragen, was es damit auf sich hat, wenn sie bereit dafür sind“, sagt Lauryn. Deswegen haben die Jugendlichen absichtlich auf erklärende Tafeln verzichtet. Doch auf dem kleinen Hinweisschild neben dem Kunstobjekt finden sich hinter einem QR-Schild Informationen zu den Schicksalen der Kinder.
„Wir wollten auf diese grausame Geschichte aufmerksam machen und die Erinnerung an das Unrecht dauerhaft wachhalten“
Am 26.Januar 2024 wurde das Mahnmal mit offiziellen Gästen wie der Zweiten Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg Katharina Fegebank (Grüne) eingeweiht. Den Festakt begleiteten Schülerin Lisa Marie Trense aus der Vielfalt-AG, deren Vater die Kupferplatte gespendet hatte, mit einer Tanzvorführung und Alexander Polinskiy (16) mit Musik auf der Geige. Die Schülerinnen und Schüler freuten sich über das große Interesse der Öffentlichkeit und die vielen positiven Reaktionen. Es zeigten ihnen, dass sie ihr Ziel, an die Vergangenheit zu erinnern und zugleich ein Zeichen für Solidarität und Menschlichkeit zu setzen, erreicht haben. „Durch das Mahnmal wurden nicht nur Schüler, sondern auch Eltern und Lehrer dazu angeregt, sich mit der Geschichte zu befassen, Schüler erzählten uns, dass sie mit ihren Eltern sogar die Gedenkstätte am Bullenhuser Damm besucht haben“, sagt Matti.
Die Schüler sind stolz auf das, was sie geschaffen haben, sie empfinden die Arbeit an dem Projekt aber auch als Bereicherung. „Die Zusammenarbeit mit dem Bildhauer hat uns neue Erfahrungen in der künstlerischen Welt eröffnet“, sagt Lauryn. „Und es war toll zu erleben, wie viele andere Menschen sich in der Erinnerungskultur einsetzen und Zeitzeugen, wie Margot Friedländer kennenzulernen“, sagt Josefina. Es inspiriert die Jugendlichen dazu, sich auch weiter gegen Unrecht zu engagieren.
„Und es war toll zu erleben, wie viele andere Menschen sich in der Erinnerungskultur einsetzen und Zeitzeugen, wie Margot Friedländer kennenzulernen“