Weiter als die Angst

BERTINI-Preis 2020 · Heinrich-Heine-Gymnasium

Die Theater AG des Heinrich-Heine-Gymnasiums vereinte die Schicksale der Geschwister Hans und Sophie Scholl und der Jüdin Anne Frank in einem eindrücklichen Theaterstück. Sie erinnerten damit nicht nur an deren Ermordung, sondern auch an deren Hoffnung auf eine friedvolle Welt.

Roland Magunia/Hamburger Abendblatt
Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Die Geschwister Hans und Sophie Scholl bildeten den Kern der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ und stellten sich in mehreren Flugblättern gegen das Nazi-Regime. Nach dem Verteilen von Flugblättern an der Universität München wurden sie am 18. Februar 1943 festgenommen, verhört, angeklagt, zum Tode verurteilt und am 22. Februar 1943 hingerichtet. Das jüdische Mädchen Anne Frank hatte sich mit seiner Familie und weiteren Personen mehr als zwei Jahre in einem Hinterhaus in Amsterdam vor den Nationalsozialisten versteckt. Doch 1944 wurde ihr Versteck verraten, alle Bewohner verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Anne Frank und ihre Schwester Margot starben 1945 kurz vor der Befreiung durch britische Truppen im KZ Bergen-Belsen vermutlich an den Folgen von Infektionskrankheiten. Anne Frank wurde nur 15 Jahre alt.

In ihrem Theaterstück „Weiter als die Angst“ brachte die Theater AG des Heinrich-Heine-Gymnasiums unter Leitung von Regisseur Nils Daniel Finckh die Lebensgeschichten der Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl und des jüdischen Mädchens Anne Frank gleichzeitig auf die Bühne. „Wir wollten in zwei Räumen nebeneinander zeigen, wofür die jeweilige Seite gekämpft hat und gestorben ist“, erläutert Helena Bohndorf (20), die Darstellerin von Sophie Scholl. Ebenso wie ihr Bruder Emanuel Bohndorf (17), der den Hans Scholl spielte, war sie beeindruckt von diesen „jungen Menschen mit Weitblick, die sich von der NS-Ideologie nicht verblenden ließen und unter Einsatz ihres Lebens für mehr Menschlichkeit kämpften“.


„Das Stück zeigt, wie sich die Protagonisten Scholl und Anne Frank nicht von ihrem Weg und ihrer Standhaftigkeit haben abbringen lassen, dass sie sich gegen die Ideologie gestellt haben, obwohl sie damit ihre Leben aufs Spiel setzten. Das hat mir sehr imponiert.“

Emanuel Bohndorf (17), Darsteller von Hans Scholl

Der Inhalt des Stücks basiert auf dem Drehbuch „Sophie Scholl – die letzten Tage“ von Fred Breinersdorfer, auf dem Theaterstück „Die Weiße Rose“ von Jutta Schubert und dem „Tagebuch der Anne Frank“. In der Inszenierung des Heinrich-Heine-Gymnasiums vereint eine schlichte Kulisse beide historischen Elemente. Hinter einem Stacheldrahtzaun wird auf einer Bühnenhälfte die Verhörsituation von Hans und Sophie Scholl dargestellt, auf der anderen Hälfte das KZ Bergen-Belsen, in dem Anne Frank interniert ist. Im Wechsel erleben die Zuschauerinnen und Zuschauer das Verhör der Geschwister Scholl und deren Erinnerung an ihre Jugend sowie die letzten Tage der Anne Frank im KZ und ihre Erinnerungen an das Versteck im Hinterhaus in Amsterdam. Die Protagonisten stehen zum einen für den Kampf gegen die Judenverfolgung und -ermordung durch das NS-Regime, zum anderen für die Menschen, die darunter litten. „Nur am Ende des Stücks treten Sophie Scholl und Anne Frank zusammen, liegen sich beide in den Armen und sterben. Die eine hat sich gegen das Leiden der anderen eingesetzt, die andere, die das Leid der Verfolgung erfahren musste, hat sich mit ihren Texten gegen die Unterdrückung gestemmt“, erklärt Line Ott (17), Darstellerin der Anne Frank.

Angeregt wurde das Stück von dem Theaterregisseur Nils Daniel Finckh, der es gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern entwickelte. Einen Impuls für das Stück brachte der Profi, der an großen Bühnen wie dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg arbeitet und gerne Stücke mit Jugendlichen inszeniert, aus seiner eigenen Familiengeschichte mit. „Mein Großvater Eberhard Finckh war mit Stauffenberg an dem missglückten Attentat auf Hitler beteiligt, er wurde hingerichtet. Meine Eltern waren eng mit Inge Aicher-Scholl, der Schwester von Sophie Scholl befreundet, bei ihr verbrachte ich in meiner Jugend viel Zeit“, erzählt Nils Daniel Finkch. Künstlerisch habe er sich lange nicht an diesen Stoff herangewagt, „es war zu nah dran“, doch nach der erfolgreichen Inszenierung des Stücks „Nichts“ mit der Theater AG des Heinrich-Heine-Gymnasiums sah er angesichts des Potenzials der jungen Darstellerinnen und Darsteller die Zeit für dieses Stück gekommen.

In dem gut anderthalb Stunden dauernden Stück kommen neben den Geschwistern Scholl und Anne Frank weitere historische Personen zu Wort, wie etwa Alexander Schmorell von der Weißen Rose oder die Schwester Anne Franks Margot. Insgesamt besteht das Stück aus acht Rollen, die von dreizehn Darstellerinnen und Darstellern zum Teil im Wechsel übernommen wurden. So wurde die Rolle der Anne Frank bei der Premiere des Stücks im Juni 2019 von Schülerin Nelia Jürgens gespielt und danach von Line Ott übernommen. „An Anne Frank hat mich beeindruckt, dass sie weiter an das Gute im Menschen geglaubt hat, obwohl sie ein eingesperrtes Leben ertragen musste und das nur weil sie Jüdin war“, sagt Line. Und Annika Franke (17), Darstellerin von Anne Franks Schwester Margot fügt hinzu: „Es ist auch beachtlich, wie weit Anne in ihrem Alter schon war. Sie wollte Schriftstellerin werden, in ihrem Tagebuch hatte sie ihre Schwester Margot so gut beschrieben, dass sie für mich lebendig wurde“, so Annika.


Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Die langen Textpassagen verlangten den jungen Darstellerinnen und Darstellern viel Durchhaltevermögen ab. „Wir haben die Texte wieder und wieder gehört“, berichtet Helena. Auch das Timing in den Verhörszenen der Geschwister Scholl musste oft geprobt werden. Denn die Schauspieler Samuel Weiss (vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg) und Stephan Schad (vom Thalia Theater) hatten die Rollen der verhörenden Gestapo-Beamten Anton Mahler und Robert Mohr übernommen. Ihre Köpfe wurden als übergroße Videoeinspielungen auf der Bühne präsent, aufgenommen von Kameramann Alexander du Prel. „Da sie hinter unseren Rücken auf die Leinwand projiziert werden und wir nicht sehen, wenn sie sprechen, müssen unsere Einsätze genau stimmen“, erklärt Helena.

Die Premiere im Juni 2019 – zu Anne Franks Geburtstag – in der Aula des Heinrich-Heine-Gymnasiums war ein großer Erfolg. Doch alle weiteren bereits vereinbarten Aufführungstermine, unter anderem in den Gedenkstätten KZ Neuengamme, Bergen-Belsen und Auschwitz sowie im Maxim-Gorki-Theater in Berlin, mussten aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. Das Ensemble spielte das Stück jedoch noch einmal und nahm es per Video auf. Dabei mussten einige Szenen wegen der Corona-Schutzmaßnahmen verändert werden, so die Szenen, in denen Anne Frank sich an die kurze Liebe zu Peter van Daan während ihrer Zeit im Versteck erinnerte. „Weil wir uns als Schauspieler auf Abstand halten mussten, wurde der Text von Peters Rolle auf der Bühne durch ein leeres Sakko symbolisiert, mit dem ich tanze, das machte die Szene noch einmal intensiver“, erläutert Line.

Die Botschaft des Stücks zeigt sich schon in dem Titel „Weiter als die Angst“. „Das Stück zeigt, wie sich die Protagonisten Scholl und Anne Frank nicht von ihrem Weg und ihrer Standhaftigkeit haben abbringen lassen, dass sie sich gegen die Ideologie gestellt haben, obwohl sie damit ihre Leben aufs Spiel setzten. Das hat mir sehr imponiert“, bekennt Emanuel Bohndorf (17), Darsteller von Hans Scholl. Die anderen stimmen ihm zu. Gerade in der heutigen Zeit, wo sich Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen auf anmaßende Weise mit den historischen Personen Sophie Scholl und Anne Frank vergleichen, sei ein solches Stück mit einem klaren Blick auf die Geschichte wichtig. „Die Einschränkungen durch die Corona-Maßnahmen sind mit der systematischen Verfolgung in der NS-Zeit nicht im Ansatz vergleichbar“, sagt Line.

Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

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