Spurensuche – Wer ist Hans?

BERTINI-Preis 2020 · Stadtteilschule Wilhelmsburg

21 Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse der Stadtteilschule Wilhelmsburg machten die Spuren des Widerstandskämpfers Hans Leipelt und seiner Familie in ihrem Stadtteil sichtbar. Sie gestalteten einen digitalen Rundgang, der über die Ereignisse hinaus zum Weiterdenken anregt.

Nicole Mattern
Nicole Mattern

An der Stadtteilschule Wilhelmsburg weist eine Gedenktafel auf Hans Leipelt hin. Mit dem Verteilen eines Flugblatts der „Weißen Rose“ leisteten der Student und seine Freundin Marie-Luise Jahn Widerstand gegen das NS-Regime. 1943 wurden sie denunziert und verhaftet, Hans Leipelt 1945 in München hingerichtet. „Bis auf die Gedenktafel wusste ich nicht viel über Hans Leipelt“, sagt Samed Yilmaz (15) von der Stadtteilschule Wilhelmsburg. Das änderte sich rasch, als er und seine Mitschülerinnen und Mitschüler vom Profil „Hamburg entdecken und erforschen“ an einem Kooperationsprojekt der Schule mit der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg & Hafen und der Initiative Gedenken in Harburg teilnahmen. Auch Medienpädagogen von der „Hirn und Wanst GmbH“ und Gestalter vom „Studio Ding“ begleiteten das Projekt und unterstützten bei der Umsetzung.

Leitidee des Projekts war es, auf die Geschichte von Hans Leipelt und seiner Familie in Wilhelmsburg aufmerksam zu machen. Neben der Tafel zu Hans Leipelt an der Schule gibt es in der Mannesallee vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie drei Stolpersteine zum Gedenken an Hans Leipelt, seine Großmutter Hermine Baron und seine Mutter Katharina Leipelt. Mutter und Großmutter stammten aus einer jüdischen Familie. Obwohl Katharina Leipelt getauft und protestantisch erzogen wurde, betrachteten die Nationalsozialisten sie als Jüdin. Weil die promovierte Chemikerin mit dem damaligen Direktor der Zinnwerke Wilhelmsburg und Katholiken Conrad Leipelt verheiratet war, wurden ihre Kinder als Halbjuden eingeordnet. Nach dem Tod ihres Mannes verlor die Familie den Schutz vor Verfolgung. Hermine Baron wurde in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie 1943 starb, Katharina Leipelt nahm sich vor der anstehenden Deportation im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel das Leben.


VIDEO · WERISTHANS.com
Eine digitale Spurensuche zum Schicksal der Familie Leipelt

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Der Geschichte der Familie Leipelt näherten sich die Jugendlichen, indem sie – ausgestattet mit einem Foto von Hans und ersten Informationen sowie Koordinaten über das Smartphone – die Orte erkundeten, die mit der Familie verbunden sind. „Wir haben eine Schnitzeljagd durch Wilhelmsburg gemacht, von der Schule über die Zinnwerke bis zu den Stolpersteinen“, berichtet Zeynep Erken (15). Dann planten die Schülerinnen und Schüler in mehreren Workshops ihre nächsten Schritte. Sie recherchierten zunächst weitere Details zur Geschichte von Hans Leipelt und seiner Familie. „Weil er ein Flugblatt von der Weißen Rose verteilt hat, wurde er verhaftet, er hat seine Zukunft geopfert für andere“, erklärt Zeynep. „Seine Geschichte hat mich betroffen gemacht, die war echt krass, die sollen auch andere Schüler erfahren“, sagt Samed.

Die 21 Jugendlichen des Profils überlegten, wie sie die Geschichte weiter vermitteln könnten, und entwickelten ein Konzept für einen digitalen Rundgang mit fünf Stationen zu wichtigen Personen oder Ereignissen aus dem Leben von Hans Leipelt. Sie teilten sich in Gruppen auf und jede Gruppe kümmerte sich um die Gestaltung einer Station. Dabei war der Umgang mit digitalen Medien genauso gefragt wie handwerkliche Fähigkeiten. „Wir haben an der Station vor den ehemaligen Zinnwerken eine Drehscheibe aus Holz gebaut und am Zaun befestigt, damit soll man die Frage nach dem Namen von Hans Leipelts Vater beantworten, damit man weiterkommt“, erläutert Kamo Juwara (15).

Nicole Mattern

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„Der Hass gegen die Juden früher, das ist ein wichtiges historisches Ereignis, von dem wir alle lernen können.“

Kamo Juwara (15), Schüler der Stadtteilschule Wilhelmsburg

Auch die Ideen zu den digitalen Elementen stammen von den Jugendlichen. Bei deren Umsetzung wurden sie in den Workshops unter anderen von der Hirn und Wanst GmbH, den Gestalterinnen Kajan Luc und Juliane Katzer sowie vom Dozenten und Designer Sören Koswig unterstützt. Die Jugendlichen entschieden sich, alle fünf Stationen mit QR-Codes auszustatten, die mit dem Smartphone gescannt werden. „Man muss kleine Rätsel lösen, um an die Koordinaten zu kommen, mit denen man weiterkommt“, erklärt Yigit Ayvaz (14). Deren Lösung ergeben sich unter anderem aus kurzen Videos mit Bildern oder Zeitzeugenberichten.

Nach dem Start an der Stadtteilschule Wilhelmsburg gelangt man mit den Koordinaten an die zweite Station, wo man nach dem Scannen des QR-Codes ein Video von Maria Leipelts früherer Schulkameradin Ilse Ledien auf dem Smartphone sehen kann. Die Zeitzeugin erzählt in dem Video, wie sie Hans Leipelts jüngere Schwester kennenlernte, als die an ihre Schule kam, weil sie als Halbjüdin nicht mehr auf die Oberschule gehen durfte. In ihrem Bericht findet sich auch die Antwort auf eine Frage, die den Besucher zur dritten Station führt: die Zinnwerke. Von dort geht es dann weiter zur Emmauskirche, wo man über den QR-Code das Video von Zeitzeugin Marie-Luise Schultze-Jahn aufrufen kann. Sie berichtet über das Flugblatt der „Weißen Rose“, das sie mit ihrem damaligen Freund Hans Leipelt verteilt hatte. Weil er nach ihrer beider Verhaftung für alles die Schuld auf sich nahm, entging sie dem Todesurteil, erhielt eine Haftstrafe und überlebte so die NS-Zeit.


Nicole Mattern
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Zum Abschluss haben die Schülerinnen und Schüler ihren Rundgang, ihre sogenannte Rallye, mit einer neunten Parallelklasse ausprobiert. „Das hat bis auf wenige Sachen geklappt, es hat ihnen auch Spaß gemacht, und sie haben auch was davon behalten“, berichtet Yigit. Aber auch die am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schüler fanden die Arbeit wichtig. „Wir haben viel über Hans gelernt, seine Geschichte ist krass und hat mich betroffen gemacht“, bekennt Samed. Die Schülerinnen und Schüler sind sich einig, dass dieser Teil der Geschichte nicht vergessen werden darf. „Der Hass gegen die Juden früher, das ist ein wichtiges historisches Ereignis, von dem wir alle lernen können. Es gibt ja heute auch Rassismus wie in den USA, wo Black Lives Matter sich dagegen wehrt“, gibt Kamo zu bedenken. Es sei eben auch wichtig, seine Rechte zu kennen und für sie einzustehen. So wie Hans Leipelt es mit seinem Widerstand gegen das NS-Regime tat, „obwohl er wusste, dass er sein Leben damit in Gefahr bringt“, betont Zeynep. Denn die Geschwister Scholl waren schon verurteilt und hingerichtet worden, dennoch hatte Hans Leipelt ihr letztes Flugblatt mit dem Zusatz „Und ihr Geist lebt trotzdem weiter“ verbreiten und die Menschen aufrütteln wollen. „Dass ein Friedenskämpfer an unserer Schule war, ist für uns alle ein Vorbild“, sagt Samed und die anderen stimmen ihm zu.


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