In eurem vierminütigen Film erzählt ihr die Geschichte eines Jungen, der mit 19 weiteren Kindern 1945 am Bullenhuser Damm von den Nazis ermordet wurde. Wie seid ihr auf dieses Thema gestossen?
Merle: Ich interessiere mich sehr für Geschichte und hatte in einer Ausstellung in unserer Schule, dem Gymnasium Klosterschule, schon etwas über die Ermordung der Kinder am Bullenhuser Damm erfahren. Um die medizinischen Versuche an ihnen zu vertuschen, hatten die Nazis sie 1945 im Schulgebäude am Bullenhuser Damm erhängt. Über dieses Thema wollte ich mehr wissen. In den Ferien nahm ich an einem Workshop zu einem Geschichtswettbewerb von Hamburg Memory teil. Dort lernte ich in der Filmgruppe Stela kennen. Sie interessierte sich auch für die Geschichte der Kinder vom Bullenhuser Damm und wir beschlossen, gemeinsam einen Film darüber zu drehen.
Und warum habt ihr euch für den zwölfjährigen Walter Jungleib entschieden?
Stela: Bei der Recherche auf der Internetseite der »Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm« sind die Namen der 20 ermordeten Kinder aufgeführt. Sie kamen aus Polen, Frankreich, Italien, Holland und ein Junge aus der Slowakei. Das war Walter Jungleib. Ich stamme selber aus der Slowakei, deshalb hat mich das Schicksal des Jungen besonders interessiert. Ein weiterer Grund war, dass seine Schwester, die die Deportation und den Krieg überlebt hat, heute in Israel lebt und erst vor zwei Jahren erfahren hat, dass ihr Bruder in der Schule am Bullenhuser Damm ermordet worden ist. Das ging uns sehr nahe.
Welche Informationen habt ihr über Walter Jungleib zusammengetragen?
Merle: Walter Jungleib lebte mit seiner zwei Jahre älteren Schwester Grete und seinen Eltern in der Slowakei. Er wuchs im jüdischen Glauben auf. Als er zehn Jahre alt war, mussten er und seine Familie vor den Nazis fliehen. Aber sie entkamen ihnen nicht. Sie wurden erst in ein Durchgangslager und dann ins KZ Auschwitz deportiert. Dort trennte man die Familie. Der Junge kam in das KZ Neuengamme und wurde dort einer Gruppe von 20 Kindern zwischen fünf und zwölf Jahren zugeteilt. An diesen Kindern machte ein Arzt medizinische Versuche, von denen die Kinder krank wurden.
Hattet ihr Kontakt zu ihr?
Merle: Nicht direkt, aber sie hat unseren Film gesehen. Weil wir ja die Erlaubnis für die von uns verwendeten Bilder einholen mussten, hatten wir uns an die Vereinigung »Kinder vom Bullenhuser Damm e.V.« gewandt, denn von dort stammen viele Fotos in unserem Film. Weil es so ein sensibles Thema ist, wollten sie den Film gern Walters Schwester Grete Hamburg, die heute mit ihrer Familie in Tel Aviv lebt, zeigen. Wir bekamen dann die Rückmeldung, dass sie sehr gerührt und mit dem Film einverstanden war. Und der Verein war auch überzeugt von unserer Arbeit und schlug unser Projekt für den BERTINI-Preis vor.
Was war das Schwierigste beim erstellen des Films?
Stela: Wir haben erst den Text geschrieben, ihn anschließend mit einem Audiorekorder aufgenommen und dann zum Ton die passenden Bilder gestellt. Am kompliziertesten war das Aufnehmen und sich dabei voll zu konzentrieren. Etwas länger hat auch das Schneiden gedauert. Wir hatten vorher noch nie einen Film produziert, sondern das erst in dem Ferien-Workshop gelernt und angewendet. Innerhalb einer Woche war er dann fertig. Wir haben ihn bei dem Wettbewerb von Hamburg Memory eingereicht, wo wir in der Kategorie Film auch einen Preis gewonnen haben.
Was ist eure wichtigste Botschaft?
Merle: Das Thema hat uns selbst sehr angesprochen, und ich finde es wichtig, dass es nicht in Vergessenheit gerät. Es ist so grausam, was den Kindern passiert ist. Und dass sie so jung sterben mussten, nur weil sie aus dem Ausland stammten und eine andere Religion hatten. Wir wollten zeigen, was damals passiert ist, damit mehr Menschen davon erfahren.
Welche Erkenntnisse habt ihr für euch aus diesem Projekt mitgenommen?
Merle: Es ist schon erstaunlich, was man innerhalb einer Woche alles schaffen kann. Als der Film fertig war, war das ein gutes Gefühl.
Stela: Es hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen. Und sich zu engagieren, besonders wenn Dinge noch ungeklärt sind.