Es gehörte während der NS-Zeit zu den größten Konzentrationslagern im Nordwesten Deutschlands, das KZ Neuengamme. Ab 1938 bis zum Kriegsende 1945 waren dort 106.000 Menschen inhaftiert. Sie mussten Zwangsarbeit unter anderem für die Rüstungsindustrie leisten. 50.000 Häftlinge starben – entweder als Folge der unmenschlichen Arbeitsbedingungen oder weil sie ermordet wurden. Bevor britische Truppen das Lager 1945 einnahmen, wurden die Häftlinge auf unsichere Transporte geschickt, wobei ebenfalls viele Menschen ums Leben kamen. Unter den britischen Besatzungsbehörden entstand in Neuengamme zunächst ein Internierungslager. Ab 1948 nutzte die Stadt Hamburg Gebäude und Gelände für den Strafvollzug. Bis aus dem ehemaligen KZ die heutige Gedenkstätte wurde, vergingen Jahrzehnte.
„Angesichts der dort begangenen Verbrechen und der vielen Todesopfer, empfand ich es als schockierend, dass die Stadt Hamburg nach Kriegsende keinerlei Aufarbeitung leistete und stattdessen jahrzehntelang Gefängnisse an diesem Ort betrieb. Erst 2005, also 60 Jahre nach der Räumung des Konzentrationslagers Neuengamme wurde die heutige Gedenkstätte eröffnet“, sagt Katharina Taschinski (18), Schülerin des Gymnasium Altona. Als in ihren Profilfächern Geschichte und Kunst das Semesterthema „Erinnerungskulturen im 19. und 20. Jahrhundert“ auf dem Lehrplan stand, beschäftigte sie sich intensiv mit der Aufarbeitungsgeschichte des ehemaligen KZ. Sie stellte sich die Frage, inwiefern die Stadt Hamburg die Entwicklung einer Gedenkstätte des KZ Neuengamme befördert oder behindert hat und erarbeitete dazu eine Dokumentation.
„Angesichts der dort begangenen Verbrechen und der vielen Todesopfer, empfand ich es als schockierend, dass die Stadt Hamburg nach Kriegsende keinerlei Aufarbeitung leistete und stattdessen jahrzehntelang Gefängnisse an diesem Ort betrieb“
Für ihre Recherchen nutzte sie unter anderem das Buch „Die erneute Demütigung“ von Johann Klarmann, das Hamburgs Umgang mit dem ehemaligen Konzentrationslager untersucht. Und sie interviewte Bernhard Esser, den Sohn des KZ-Überlebenden Rudolf Esser. „Rudolf Esser war ebenso wie sein Bruder Alwin in der kommunistischen Partei aktiv. Die Brüder und ihre Schwester Luise wurden 1933 verhaftet und in der Gestapo-Zentrale an der Stadthausbrücke gebracht und misshandelt. Die Brüder kamen ins KZ Fuhlsbüttel, wo Alwin Esser starb. Rudolf Esser wurde später in das KZ Neuengamme gebracht und musste dort Zwangsarbeit leisten. Er überlebte das KZ mit sehr viel Glück“, sagt Katharina Taschinski.
Beim Gespräch mit Bernhard Esser, der sich im Freundeskreis der Gedenkstätte KZ Neuengamme engagiert, wurde der Schülerin der große Schmerz der Überlebenden und der Angehörigen von KZ-Opfern bewusst. Sie hatte sich jahrelang um die Errichtung einer würdigen Gedenkstätte bemüht und stießen immer wieder auf Widerstand. „Vier Jahrzehnte lang hat die Hansestadt Hamburg den Bau eines Gedenkortes massiv behindert“, zieht Katharina das Fazit aus ihren Recherchen. Erst in den achtziger Jahren änderte sich das Verhalten der Hansestadt gegenüber den ehemals Verfolgten und ihren Verbänden „Die Beharrlichkeit der Überlebenden und ihrer Angehörigen und letztlich auch die jüngere, nicht mehr durch die NS-Diktatur belastete Generation hat diesen Wandel möglich gemacht“, sagt Katharina.
Anknüpfend an die Ergebnisse ihrer Arbeit entwickelte die Schülerin im Fach Kunst ein Model für ein Mahnmal mit dem Titel „Die aufgebrochene Mauer“. Das Model ist 24 Zentimeter lang, 21 hoch und 4 Zentimeter breit. Es besteht aus zwei aneinandergeklebten Styroporplatten, die mehrere aufgerissene Löcher enthalten. Durch sie schimmern mit Namen bedruckte blaue Folien hindurch. Es sind Auszüge aus den Totenbüchern des ehemaligen Lagers. „Kurz bevor die Briten kamen, mussten die Häftlinge das Lager aufräumen, alle Spuren der Verbrechen sollten vernichtet werden“, sagt Katharina. Unter Einsatz ihres Lebens konnten einige Häftlinge jedoch Teile der, von der Lagerverwaltung akribisch geführten Totenbücher verstecken. Sie enthielten die Namen, Daten und Todesursachen verstorbener oder ermordeter Häftlinge. „Dank der mutigen Häftlinge, die die Seiten retteten, sind etwa die Hälfte der Namen der Opfer erhalten geblieben und wurden zur Grundlage für die Gedenkarbeit“, erklärt die Schülerin.
„Es zeigt, wie wichtig das Erinnern ist, nicht nur für die Überlebenden, sondern auch für uns heute“
Mit den sichtbar gewordenen Auszügen aus dem Totenbuch ist die Mauer mehr als ein Denkmal. „Die Mauer verkörpert das Schweigen, Verharmlosen und Leugnen der Nachkriegsgesellschaft wie auch des Hamburger Senats gegenüber der NS-Verbrechen. Doch der unermüdliche Einsatz der Überlebenden und Engagierten reißt Löcher in diese Mauer des Schweigens“, erklärt die Schülerin. So werde nicht nur an die Opfer des ehemaligen KZ erinnert, sondern auch an die „Hüter der Erinnerung, jene die sich für die Erinnerung und Aufarbeitung stark gemacht haben“, sagt Katharina.
Die Arbeit an diesem Thema hat die Oberschülerin sehr bewegt. „Es zeigt, wie wichtig das Erinnern ist, nicht nur für die Überlebenden, sondern auch für uns heute“, so die Oberstufenschülerin. Weil es immer weniger Zeitzeugen gebe, seien nun die Nachgeborenen in der Verantwortung, „das Geschehene nicht zu vergessen, es nicht zu verschweigen und wachsam zu bleiben“, sagt Katharina Taschinski. Für sie wurde das Projekt zu einer Herzensangelegenheit.