Was war der Auslöser für dein Projekt?
In meiner Umgebung in Eimsbüttel und in Winterhude gibt es viele Stolpersteine. Sie werden ja zur Erinnerung an Opfer der NS-Zeit vor den Häusern verlegt, in denen die Menschen zuletzt gewohnt haben, bevor sie deportiert und umgebracht wurden. Auf den kleinen vergoldeten Flächen sind einzelne Name und Lebensdaten eingraviert. Ich habe mir oft gewünscht, mehr über die Schicksale der Menschen zu wissen und fand es schade, dass es dort keine Bilder von ihnen gibt. Als dann in einem Kunstkurs an meiner Schule ein Wettbewerb zum Thema „Spurensuche“ ausgeschrieben wurde, dachte ich, ich könnte mein Interesse für die Stolpersteine mit der Porträtzeichnung verbinden. Ich habe schon immer gerne Gesichter gezeichnet. Daraus entstand die Idee, die Menschen, an die mit den Stolpersteine erinnert wird, sichtbar zu machen, indem ich ihre Porträts auf das Straßenpflaster neben die Gedenksteine sprühe.
Welche Mittel waren nötig, um deine Idee umzusetzen?
Erstmal habe ich Informationen über die Menschen gesammelt. Auf der Internetseite www.stolpersteine-hamburg.de sind viele Einzelschicksale dokumentiert. Wenn man die Straßennamen eingibt, erhält man die Namen der Menschen, für die in der Straße Steine verlegt wurden und kann auf ihre Biografien weiterklicken. Für mein Vorhaben brauchte ich allerdings auch gute Fotos zu den betreffenden Personen, damit ich sie nachzeichnen konnte. Das schränkte die Auswahl etwas ein. Ich habe zwar viele spannende Biographien gelesen, aber oft fehlte ein Bild dazu oder es war in der Qualität nicht gut genug, um es nachzuzeichnen. Letztlich habe ich dann 15 Personen ausgesucht.
Gab es Schicksale, die dich besonders berührt haben?
Vor allem Schicksale mit Kindern oder Jugendlichen in meinem Alter. Da war zum Beispiel Herbert van Cleef aus Hamburg. Er wurde nur 16 Jahre alt. Er war der jüngste Sohn des jüdischen Ehepaares Julius und Gertrud von Cleef. Seine Eltern wollten vor den Nazis fliehen und in die Niederlande ausreisen, doch sie kamen nur bis zur Grenze. Sie durften nicht einreisen. 1941 wurde sie nach Minsk deportiert. Ihr Sohn Herbert war in den Niederlanden von einer Tante aufgenommen worden, aber 1944 wurde er auch von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ein anderer junger Mann namens Rolf Arno Baruch ist vermutlich auf dem Todesmarsch von Auschwitz gestorben. Ein Stolperstein mit seinem Namen liegt vor der Heinrich-Hertz-Schule in Winterhude, die er früher besucht hat.
Wie hast du die Vorlagen für die Porträts erstellt?
Als erstes habe ich die Fotos der Personen, die ich abbilden wollte, ausgedruckt und mit Kohlepapier auf weißem Papier nachgezeichnet. Dann habe ich die Bilder auf dem Papier nachbearbeitet, Konturen und Schatten gesetzt, damit das Porträt plastisch wird. Und es schließlich als Schablone ausgeschnitten. Auf die Freiflächen der Schablonen wollte ich Kreidespray sprühen. Die ersten Versuche habe ich bei uns im Innenhof aber mit Mehl gemacht. So konnte ich die Schablonen noch nacharbeiten, damit die Gesichter der Personen gut zu erkennen sind. Auf der Straße habe ich dann mit dem hellem Kreidespray gearbeitet. Es wirkt wie Graffiti, hält aber bei Regen nur etwa drei Wochen und ohne Regen etwas länger. Ursprünglich hatte ich auch noch die Idee, die Porträts mit einem Projektor als Lichtbilder an Hauswände zu werfen, doch es war zu teuer ein passendes Gerät dafür auszuleihen und zu groß, um es zu transportieren.
Wofür stehen deine Porträts?
Ich wollte mit den Porträts noch mehr auf die Schicksale der NS-Opfer aufmerksam machen. Meiner Meinung nach sind Gesichter aussagekräftiger als Daten, Gedenksteine oder Namen. Damit die Leute hinschauen, habe ich extra eine leuchtende Farbe gewählt.
Wie haben Passanten auf deine Sprühaktion reagiert?
Es gab keine negativen Reaktionen, obwohl ich das erst ein wenig befürchtet hatte. Einmal wegen des Themas und auch wegen der Sprühaktion. Die Dosen für das Kreidespray sehen aus, wie die für Graffiti-Spray. Aber für Graffiti, die sich nicht mehr so schnell entfernen lassen, hätte ich mir eine Genehmigung holen müssen. In manchen Straßen waren nicht so viele Leute unterwegs, aber an belebten Ecken wie der Osterstraße, haben Passanten schon mal geschaut und nachgefragt, was ich dort mache. Als ich es ihnen erklärt habe, fanden sie es alle gut. Nachdem ich mein Projekt in der Schule vorgestellt hatte, bekam ich auch von Mitschülerinnen und Mitschülern positive Rückmeldungen. Sie hatten Porträts in ihren Straßen entdeckt.
Was bedeutet der BERTINI-Preis für dich?
Ursprünglich hatte ich ja Schablonen für drei Personen entworfen und damit am Schulwettbewerb teilgenommen. Bei dem habe ich auch einen Preis gewonnen und meine Kunstlehrerin ermutigte mich, an einem weiteren Wettbewerb teilzunehmen. Es war dann meine Philosophielehrerin, die mir vom BERTINI-Preis erzählte. Ich wollte sowieso weiter an meinem Projekt arbeiten und habe es auf 15 Porträts ausgeweitet. Weil sie ja vergänglich sind, hatte ich sie alle fotografiert. Bilder davon habe ich zusammen mit Fotos von den Stolpersteinen und den Häuser, vor denen sie liegen, auf einzelne DIN A3 Blätter geklebt und als Mappe gemeinsam mit einer Projektbeschreibung beim BERTINI-Preis eingereicht. Dass ich dann gewonnen habe, hat mich sehr überrascht und auch gefreut. Ich finde, dass man die Opfer der NS-Zeit nicht vergessen darf, deswegen möchte ich auch in Zukunft mit meinem Projekt weitermachen.