Erinnerung an Else Rauch

BERTINI-Preis 2014 · Berufliche Schule für Wirtschaft

Die Beruflichen Schulen H12 und H3 fusionieren und ziehen gemeinsam an einen neuen Standort.Schülerinnen und Schüler der H12 (Berufliche Schule für Wirtschaft und Steuern) engagieren sich dafür, dass die neue Schule einen besonderen Namen bekommt: den der Lehrerin Else Rauch.

Else Rauch war Lehrerin in Hamburg. 1913 trat sie in den Schuldienst ein, 1926 unterrichtete sie an der damaligen Volksschule in der Lutterothstraße. Ihre Eltern waren Juden, konvertierten 1903 jedoch zum Christentum und ließen ihre Tochter taufen und konfirmieren. Doch ihre jüdischen Wurzeln reichten den Nationalsozialisten aus, um die Lehrerin 1933 vom Schuldienst zu suspendieren. 1941 wurde sie in das Ghetto von Lodz in Polen deportiert, 1942 in das 70 Kilometer entfernte Vernichtungslager Chelmno gebracht und dort ermordet.

Die Lehrerin war eine von mindestens 152.000 Menschen, die in Chelmno mit Giftgas umgebracht wurden. In Hamburg erinnert der Else-Rauch-Platz in der Nähe der Lutterothstraße an sie. Der Platz ist allerdings kaum bekannt, eine Gedenktafel steht versteckt am Rande und wird oft durch Vandalismus beschmiert. Allmählich drohte das Schicksal der Lehrerin, die aus Willkür ermordet wurde und stellvertretend für unzählige andere Schicksale während der nationalsozialistischen Herrschaft steht, in Vergessenheit zu geraten. Bis sich Berufsoberschülerinnen und -schüler der Beruflichen Schule für Wirtschaft und Steuern (H12) ihrer Geschichte widmeten.


Die H12, die derzeit noch am Ausschläger Weg angesiedelt ist, soll mit der Beruflichen Schule H3 im Sommer 2015 fusionieren und an einen neuen Standort an der Schlankreye umziehen. Für die Berufsoberschülerinnen und -schüler Anlass genug, um über einen neuen Namen für die Schule nachzudenken. „Wir wollten weg vom Durchnummerieren, wie es für die Berufsschulen in Hamburg üblich ist“, erklärt Julian Oelkers, 24. Und weil eine Zweigstelle des Fusionspartners, die H3, derzeit noch an der Lutterothstraße unweit des Else-Rauch-Platzes untergebracht ist, kamen die Schülerinnen und Schüler, die alle bereits eine Berufsausbildung haben und an der Berufsoberschule ihre Fachhochschulreife oder ihr Abitur anstreben, auf ihren Namensvorschlag. „Um an Schicksale wie das der Lehrerin Else Rauch zu erinnern, möchten wir die neue Schule nach ihr benennen“, sagt Vivien Peters, 21.


Mit Unterstützung von Lehrerin Gerlinde Hartmann begannen die 23 Schülerinnen und Schüler Argumente für den neuen Schulnamen zu sammeln. Weil sie sich dem Projekt von mehreren Seiten nähern wollten, bildeten sie fünf Arbeitsgruppen. Während sich zwei Gruppen mit der Biografie von Else Rauch befassten, sammelten zwei weitere Gruppen Argumente für den Namensvorschlag und eine Gruppe machte sich Gedanken zur Umgestaltung des Else-Rauch-Platzes. Ihr gemeinsames Ziel war es, Schule und Öffentlichkeit gleichermaßen über Else Rauch zu informieren.

Viel ist über die Lehrerin nicht bekannt. „Auf der Suche nach Informationen sind wir im Internet auf ein Buch gestoßen, dass ein Arthur Riegel über sie geschrieben hat“, berichtet Vivien Peters aus der Biografie-Gruppe. Sie wollten den Autor kontaktieren, doch leider kamen sie zu spät. Arthur Riegel, ein ehemaliger Schüler von Else Rauch, war bereits verstorben. Und trotzdem hatten die Schülerinnen und Schüler großes Glück bei ihren Nachforschungen. „Wir hatten die Adresse von Arthur Riegel über das Staatsarchiv herausgefunden. Er hat in Stellingen gewohnt. Wir fuhren dorthin, um Nachbarn zu fragen, ob sie sich an ihn erinnern können, und trafen auf seinen Enkel Sven Urbanski“, so Melanie Scheibel, 23.


„Um an Schicksale wie das der Lehrerin Else Rauch zu erinnern, möchten wir die neue Schule nach ihr benennen“

Vivien Peters, 21, Schülerin an der Beruflichen Schule für Wirtschaft und Steuern


Der Enkel hatte noch Dokumente und konnte den Schülerinnen und Schülern erzählen, dass sein Großvater erst nach dem Krieg von der Deportation seiner früheren Lehrerin erfahren hatte. „Er hatte sich auf ihre Spuren begeben, hat herausgefunden, dass sie im KZ gestorben war, war nach Polen gefahren und hatte dort Überlebende getroffen“, berichtet Melanie. Die Schülerinnen und Schüler waren von der Spurensuche des Arthur Riegel beeindruckt und produzierten ein Hörspiel, in dem sie seine Recherchen mit eigenen Texten nachempfanden. „Die Texte wurden von dem Großvater einer Mitschülerin gelesen. Dadurch wirkte die Geschichte noch authentischer“, so Melanie. Zudem schrieben die Jugendlichen auf Basis des Buches eine detaillierte Biografie und verfassten einen Informationsflyer über Else Rauch. „Mit unseren Recherchen fanden wir immer mehr Gründe für unseren Namensvorschlag ‚Berufliche Schule Else Rauch’“, sagt Vivien. Einer davon ist, die „Erinnerungskultur an die Opfer der Nationalsozialisten wiederzubeleben“, so die Schülerin.

Um mehr über die mögliche Akzeptanz des neuen Namens herauszubekommen, führten die Schülerinnen und Schüler auch Interviews mit Vertretern des Stadtteils. „Die meisten äußerten sich positiv dazu“, sagt Steffen Suhl, 21. Auch die Schüler der H13 wurden in einer Fragebogenaktion um ihre Meinung gebeten, nachdem die jungen Leute ihr Projekt in mehreren Klassen vorgestellt hatten. „Nach einer Präsentation bei der Schülervertretung haben wir mit ihnen diskutiert. Viele waren für unseren Vorschlag offen“, sagt Marco Ritzmann, 25. Doch es gab auch Gegenstimmen, vor allem unter den Lehrkräften waren aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht alle für den neuen Namen. „Eine endgültige Abstimmung gibt es erst nach dem Umzug“, sagt Vivien.


Aber selbst wenn der angedachte Schulname nicht angenommen wird, haben die Jugendlichen schon viel erreicht. „Wir haben Vorschläge für die Verbesserung des jetzigen Else-Rauch-Platzes erarbeitet, damit er ein würdiger Ort der Erinnerung werden kann“, sagt Julian. Zudem haben die Schülerinnen und Schüler einen Wikipedia-Eintrag über die Lehrerin und den gleichnamigen Platz erstellt und Info-Flyer über die Lehrerin im Stadtteil erstellt und ausgelegt.

Den Schülerinnen und Schülern selbst hat das Projekt viel gebracht. „Weil wir die Perspektive einer lebenden Person eingenommen haben, konnten wir noch einmal ganz anders auf die Geschichte blicken“, sagt Marco. Dafür bedankten sich die Jugendlichen während der Verleihung des BERTINI-Preises bei ihrer Lehrerin Gerlinde Hartmann. „Sie hat uns Inspiration und freien Raum für das Projekt gegeben, sie ist praktisch unsere Else Rauch“, so Vivien Peters.


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