Wie ist das Engagement für Gehörlose Flüchtlinge entstanden?
Als Anfang 2015 die Flüchtlingswelle herannahte, hatte sich der Gehörlosenverband Hamburg (GLVHH) gefragt, wie viele Gehörlose unter den Flüchtlingen sein würden und wie man ihnen helfen könnte. Asha, die Migrations- und Flüchtlingsbeauftragte des GLVHH, wollte dazu interessierte Leute mit ins Boot holen. Sie wandte sich an die Interessengemeinschaft der Deaf (Tauben) Studierenden Hamburgs, kurz: iDeas genannt, deren erste Vorsitzende ich bin. Wir entschlossen uns, ein ehrenamtliches Netzwerk für gehörlose Flüchtlinge aufzubauen, und gründeten die Initiative Deaf Refugees Welcome – Hamburg mit Asha, Louisa, Gabi, Alex und mir als Kernteam und weiteren ehrenamtlichen Helfern mit Gebärdensprachkenntnissen.
In welcher Form habt ihr Kontakt zu den Flüchtlingen aufgenommen?
Wir telefonierten und mailten Flüchtlingsunterkünfte an oder gingen selber hin. Wir fragten die dortigen Leitungen, ob es taube Flüchtlinge gebe, und informierten darüber, dass unsere Initiative ihnen helfen möchte. Auf einer Infoveranstaltung entstanden auch Kontakte zur Elbschule in Hamburg, die von Schülern mit Hörschädigungen besucht wird.
In welcher Sprache verständigt ihr euch mit den gehörlosen Flüchtlingen?
Am häufigsten benutzen wir Gebärden. Meist versuchen wir es mit internationalen Gebärden. Das ist allerdings keine reguläre Gebärdensprache, sondern man benutzt universelle, einfache Gebärden. Es gibt aber auch Flüchtlinge, die in ihrem Heimatland völlig ohne Sprache aufgewachsen sind. Da läuft die Verständigung mit Händen und Füßen. Wir wenden auch Hausgebärden an, die ‚home signs’, das sind erfundene Gebärden, die in den Familien genutzt werden. Mit schwerhörigen oder in der hörenden Welt sozialisierten Flüchtlingen kommunizieren wir schriftlich. Das kommt allerdings selten vor.
Welchen Menschen bist du begegnet?
Als wir im Sommer 2015 mit unserem Engagement anfingen, hatte ich einen intensiveren Kontakt zu einer Familie aus Albanien. Sie hatte fünf Kinder, darunter zwei taube Jungen im Alter von zehn und zwölf Jahren. Ich betreute sie gemeinsam mit Louisa und einer weiteren Supporterin. Die Familie war anfangs sehr misstrauisch, aber das legte sich schnell. Mit unserer Vermittlung konnten die beiden Jungs nach einem halben Jahr in die Elbschule gehen. Dort blühten sie richtig auf. Leider wurden sie dann abgeschoben, denn sie hatten als Roma keine Aussicht auf Asyl. Ich hatte auch Kontakt zu Flüchtlingen, die aus Syrien, Eritrea, Iran, Irak oder Afghanistan gekommen waren. Wir betreuen Kinder, Jugendliche, unbegleitete Jugendliche, Erwachsene und Familien.
Wie könnt ihr ihnen helfen?
Wir bieten Beratung und Unterstützung an, begleiten sie zum Beispiel zur Ausländerbehörde oder zum Jobcenter, helfen beim Ausfüllen von Asylanträgen oder der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises oder bei der Eröffnung eines Bankkontos. Daneben gibt es auch Freizeitangebote. Wir besuchen gemeinsam Museen oder machen Sport. Regelmäßige Treffen finden einmal im Monat statt.
Welchen besonderen Herausforderungen sind taube Flüchtlinge ausgesetzt?
Die Herausforderungen sind sehr hoch. Wenn sie allein unter Hörenden sind, stehen die Gehörlosen vor oft unüberwindbaren Sprach- und Kommunikationsbarrieren. Sie sind von wichtigen Informationen abgeschnitten, über die sich hörende Flüchtlinge austauschen, etwa Tipps über das Aufnahmeland. Zudem sind die gehörlosen Flüchtlinge oft sozial isoliert. Einen Anspruch auf Gebärdensprachdolmetscher haben taube Flüchtlinge nicht, deswegen sind freiwillige Helfer eine wichtige Unterstützung.
Wie habt ihr die Hilfe in eurer Gruppe organisiert?
Am Anfang war das Team noch relativ unstrukturiert, es gab viele freiwillige Supporter. Doch dann bildeten wir das Kernteam, das den Überblick behält. Dazu kommen die freiwilligen Unterstützer, die einzelne Flüchtlinge betreuen und mit ihnen etwas unternehmen. Aktuell haben wir etwa zehn solche Supporter und rund 40 freiwillige Gebärden- und Fremdsprachendolmetscher, sowohl hörende als auch taube.
Gibt es Zahlen zum Anteil von Gehörlosen unter den Flüchtlingen?
In Deutschland gibt es etwa 180 taube Flüchtlinge. Das ist eine Schätzung des deutschlandweiten Deaf-Refugees-Supporter-Netzwerks. In Hamburg leben rund 30 gehörlose Flüchtlinge. Wir gehen von einer höheren Dunkelziffer aus.
Welche Erkenntnisse hast du persönlich für dich während des Projektes gewonnen?
Ich habe viele herzliche und offene Menschen kennengelernt. Ich habe auch gelernt, mich emotional besser abzugrenzen, wenn es mit den Ansprüchen an die Hilfe zu viel wurde. Neben den Begegnungen mit den Flüchtlingen waren auch die Kontakte mit anderen Unterstützern bereichernd.
Wie wurdest du auf den BERTINI-Preis aufmerksam?
Die Deutsche Gehörlosen-Jugend hat mich vorgeschlagen. Mitte Dezember baten sie mich per Webcam um ein Gespräch, wo eine Mitarbeiterin mir dann die schöne Nachricht mitteilte, dass ich den Preis gewonnen habe. Das freut mich und das ganze Team von Deaf Refugees Welcome – Hamburg, für das ich den Preis stellvertretend entgegennehme.